«Das Kulturerbe in unseren Klosterbibliotheken soll nicht in Antiquariaten landen»

Montag, 10. Oktober 2022

Ordensgemeinschaften fehlt bei sinkender Mitgliederzahl immer mehr die Zeit, sich um ihre Klosterbibliotheken zu kümmern. In einem Handbuch wird nun der Buchbestand der vor 1800 gegründeten Klöster in der Schweiz erfasst. Diese Übersicht zeigt nicht nur das immense Kulturgut auf, sondern hilft auch, bei einer Klosteraufhebung sinnvoll mit der Bibliothek umzugehen.

«Die Spannweite der Klosterbibliotheken ist riesig», bilanziert der Historiker Albert Holenstein von der Fachstelle schriftliches Kulturerbe. Bild: Roger Fuchs

Albert Holenstein, ausgebildeter Historiker und früher Geschichtslehrer an der Kantonsschule Wil, hat 2018 die neu ins Leben gerufene Fachstelle schriftliches Kulturerbe in der Stiftsbibliothek St.Gallen übernommen. Es war eine seiner ersten Hauptaufgaben, innerhalb von vier Jahren – coronabedingt etwas länger – eine Übersicht über die Schweizer Klosterbibliotheken zu erstellen. Angesichts des engen Zeitrahmens hat man sich auf die vor 1800 gegründeten Klöster beschränkt – 65 an der Zahl.

58 Klöster haben die Türen zu ihren Bibliotheken geöffnet. Deren Bestand, Geschichte, Zustand oder auch die räumliche Situation können nun in einem neuen Handbuch über die Klosterbibliotheken nachgeschlagen werden. «Der Grund dafür, dass im Buch nicht von allen 65 Klöstern die Bibliotheken erfasst werden konnten, liegt darin, dass es sich bei den Klosterbibliotheken um Privateigentum in kirchlicher Trägerschaft handelt. Nicht alle wollen dies der Öffentlichkeit zeigen», sagt Holenstein. In anderen Frauenklöstern ist die Bibliothek im Klausurbereich untergebracht, wo Albert Holenstein als Mann keinen Zutritt hatte, oder es fehlte den Ordensleuten an Zeit zur Betreuung wissenschaftlicher Anfragen. Anstelle der fehlenden Klöster konnte dafür das Buch ergänzt werden mit Artikeln beispielsweise zur ehemaligen Klosterbibliothek in Pfäfers oder Stans sowie zu ausländischen Bibliotheken mit Bezug zur Schweiz.

Mit Ausnahme von wenigen Klosterbibliotheken hat Holenstein, der zuvor noch nie ein aktives Kloster betreten hatte, alle selbst besucht. «Die Spannweite der Klosterbibliotheken ist riesig», bilanziert er. «In Einsiedeln befindet sich mit 185’000 Buchtiteln die grösste Bibliothek eines noch aktiven Klosters, dicht gefolgt von der Stiftsbibliothek St.Gallen mit 140’000 Titeln. Auf der anderen Seite gibt es ganz kleine Klosterbibliotheken wie jene des Klosters Grimmenstein in Walzenhausen mit 1400 Titeln.»

Jeder Buchbestand erfordert anderen Umgang damit

Hintergrund dieser Arbeit bildet zweifelsfrei die rückläufige Zahl von Ordensleuten. Folglich hat man in den Klöstern immer weniger Zeit, sich um Bücher zu kümmern. Sollte es zu einer Klosteraufhebung kommen, gibt das vorliegende Werk Aufschluss darüber, was in der jeweiligen Klosterbibliothek vorhanden ist. «Schliesslich soll dieses Kulturerbe dereinst auch bewahrt und gesichert werden und nicht irgendwo in einem Buchantiquariat landen», sagt Albert Holenstein. Wenn man beispielsweise wisse, dass es in einer Bibliothek Inkunabeln gebe, müsse man ganz andere Überlegungen anstellen, als wenn nur gedruckte Bücher aus dem 19. oder 20. Jahrhundert zum Bestand gehörten.

Ideal ist gemäss dem Historiker, bei einer Klosterauflösung den Altbestand einer Klosterbibliothek zusammenfassend aufbewahren zu können. Dabei ist die Übergabe an einen vergleichbaren geistlichen Träger heute nicht mehr immer möglich, weil alle Klöster vor personellen Herausforderungen stehen. Ergo bleibt die Übergabe an eine staatliche Bibliothek oder wie in St.Gallen an die Stiftsbibliothek. Beispielsweise wurde hier bereits der Altbestand des Kapuzinerinnenklosters Wattwil aufgenommen. Irgendwann könnten an solchen Orten aber räumliche Engpässe entstehen. Diese Entwicklung erfordert deshalb eine Sensibilisierung auch bei kantonalen Institutionen und der Öffentlichkeit, wozu dieses Buch ebenfalls seinen Beitrag leisten will.

Webdatenbank parallel zum Buch

Nebst dem Buch werden die Artikel zu den einzelnen Klosterbibliotheken auch im Internet publiziert unter «helvetiasacra.ch». Diese Webdatenbank soll laufend ergänzt werden. Gemäss Albert Holenstein sieht es gut aus, dass bereits in diesem Jahr angesichts erfolgreicher Sensibilisierungsarbeit eine Klosterbibliothek, zu der ihm der Zugang verweigert wurde, ergänzt werden kann. Auch nach 1800 gegründete Klosterbibliotheken sollen online Schritt für Schritt Einzug erhalten.

Text und Bild: Roger Fuchs


Informationen zum Buch
Handbuch der Schweizer Klosterbibliotheken, Schwabe Verlag, 509 Seiten, 68 Franken.
ISBN: 978-3-7965-4598-6
Erhältlich im Buchhandel oder direkt unter www.stiftsbezirk.ch/de/shop

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