Pater Martin Werlen: «In allen Begegnungen Gottes Geist wahrnehmen»

Freitag, 9. Juni 2023

Zum ersten Mal haben die vier privaten katholischen Schulen im Kanton St.Gallen, die seit diesem Jahr unter der Marke «wertebilden.ch» auftreten, am Donnerstagabend zu einem gemeinsamen Anlass eingeladen. Pater Martin Werlen, Vorsteher der Probstei St.Gerold in Österreich und einstiger Abt von Einsiedeln, gab am Kathi Wil unerwartete Denkanstösse zum Thema Spiritualität. Emotional wurde es aber aus einem anderen Grund.

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Kaum war der Vortrag von Pater Martin Werlen zu Ende, ergreift Armin Eugster, Präsident des Stiftungsrates des Kathi Wil, noch einmal das Wort: «Wir haben den Vertrag», sagt er sichtlich gerührt und mit brüchiger Stimme. Eine grosse Last hat sich zum Guten gewendet: Parallel zur Veranstaltung mit Martin Werlen hat das Stadtparlament von Wil grünes Licht gegeben, bis Ende 2024 einen neuen Schulvertrag zwischen der Stiftung und dem Stadtrat auszuhandeln. Ohne diese Zustimmung hätte sich für das Kathi im Sommer ein vertragsloser Zustand ergeben.

«Vielleicht haben die Worte von Pater Martin Werlen bis ins Stadtparlament gewirkt», meint beim anschliessenden Apéro Hans Brändle, Administrationsrat und als solcher zuständig für die vier christlichen Schulen katholischer Prägung im Kanton. Der Referent Martin Werlen sprach vor gut 80 Leuten über Spiritualität. Dies ist einer der sechs Werte, auf den sich die vier Schulen – das Kathi Wil, das Gymnasium Friedberg Gossau, die Maitlisek Gossau und die Schulgemeinschaft Waid in Mörschwil – geeinigt haben. Seit diesem Jahr treten sie denn auch gemeinsam als christliche Werteschulen unter der Marke «wertebilden.ch» auf.

Zum Umdenken angeregt

Bereits in der Einleitung kündigte Martin Werlen an, dass er kaum das sagen werde, was die Anwesenden erwarten. Und so war es auch; zum Titelthema des Abends «Spiritualität wecken» hielt er fest: «Wir müssen Spiritualität nicht wecken, sondern Gottes Geist entdecken.» Werlen stützte sich dabei auf eine deutsche Übersetzung des Alten Testaments durch den jüdischen Philosophen Martin Buber. Darin heisst es, dass über allem Irrsal und Wirrsal Gottes Geist schwebend sei. «Das ist ganz zentral», so Martin Werlen. «Gottes Geist ist unserem Tun immer voraus.»

Aufbauend auf dieser Grundhaltung motivierte Martin Werlen zu einem Umdenken. Man brauche bei anderen Menschen nicht die Spiritualität zu wecken, denn der Geist Gottes sei bereits da.  Vielmehr gehe es darum, den Menschen zu helfen, diesen Geist Gottes zu entdecken. Mit dieser Grundhaltung sei auch die Begegnung mit jungen Menschen eine ganz andere. Martin Werlen bediente sich dem Bild von Baustellen: «Stellt euch vor, wir lassen bei jungen Menschen zu, dass sie Baustellen haben. Wir sagen ihnen nicht, wie es sein muss, sondern helfen ihnen, an ihren eigenen Baustellen zu arbeiten – und dies im Vertrauen darauf, dass Gottes Geist darüber ist.»

Seine Impulse untermauerte Martin Werlen überdies mit seiner besten Lebensentscheidung, keine Fahrprüfung gemacht zu haben. «Wer im Auto reist, bleibt in seinen eigenen vier Wänden. Wer im Zug reist, begegnet der Welt», so der Referent. Martin Werlen erzählt von vielen verschiedenen Begegnungen und zufälligen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern. All diese Begegnungen haben ihm so viel geschenkt, dass er zusammenfasst: «Gottes Geist erfahren wir in Begegnungen. Er ist einfach da, unabhängig von Alter, Religion, Kultur.» Wer in anderen diesen Geist entdecken wolle, müsse aber bei sich anfangen.

Weitere Veranstaltungen geplant

Die vier christlichen Schulen katholischer Prägung wollen künftig jedes Jahr zu einem solchen gemeinsamen Anlass einladen und dabei einen ihrer sechs Grundwerte ins Zentrum stellen. Nebst dem Wert «Spiritualität wecken» sind dies «Achtsam sein», «Offen sein», «Vertrauen schenken», «Wertschätzung leben», «Selbstbewusstsein fördern». Pater Martin Werlen brachte sie alle miteinander in Verbindung. Die Spiritualität steht seiner Meinung nach über allem. Wem bewusst sei, dass Gottes Geist immer da sei, der begegne Menschen wertschätzend oder achtsam. Werlens Worte fesselten. Die grosse Aufmerksamkeit im Saal war spür- und sichtbar.

Text und Bilder: Roger Fuchs

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