Die älteste Glocke der Schweiz – die Gallusglocke – wird nachgebildet

Montag, 2. Oktober 2023

Bei Schellenschmied René Soller in Zihlschlacht entsteht ein Replikat der Gallusglocke. Hierbei handelt es sich um die älteste Glocke der Schweiz, sie hängt im Chorraum der Kathedrale St.Gallen und stammt aus dem 7. Jahrhundert. Auslöser für die Nachbildung ist eine Anfrage aus Deutschland anlässlich der Landesausstellung 2024 zur «Klosterinsel Reichenau. Welterbe des Mittelalters». Beim Besuch des Schellenschmieds bekommt die Glocke soeben ihren Klang - inklusive Videoclip.

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Schellenschmied René Soller erhitzt die Nachbildung der Gallusglocke auf über 900 Grad, um die offenen Stellen zu löten. Bild: Roger Fuchs

15 Stunden hat Schellenschmied René Soller bereits in die Nachbildung der Gallusglocke investiert, als er eine Gruppe Interessierter aus dem Stiftsbezirk St.Gallen empfängt, um weitere Arbeitsschritte vorzunehmen. Die aus einem Stahlblech geschmiedete Glocke, die wie das Original auf beiden Seiten von je zehn Nieten zusammengehalten wird, soll anders als das Original nicht nur scheppern, sondern auch schön klingen. Dazu erhitzt René Soller den Stahl auf über 900 Grad und fügt mit einem überlangen Löffel Kupferplättchen und Borax in den Hohlraum der Glocke ein. Die Plättchen schmelzen und verlöten die vernietete Überlappung. Folglich sind die beiden Bleche ganzflächig miteinander verbunden. «Das sogenannte Löten kannten schon die Römer», sagt der Schellenschmied. Deshalb mache er dies mit gutem Gewissen bei dieser Nachbildung der Gallusglocke.

Das Ergebnis überzeugt: Nachdem der heisse Stahl in einem Wasserbad gekühlt wurde und der Klöppel im Gehäuse angebracht ist, bringt René Soller die Glocke zum Klingen. Ein angenehmer Ton breitet sich aus. Die Anwesenden sind die Ersten, die hören, wie die Gallusglocke geklungen haben dürfte. Um herauszufinden, ob es noch undichte Stellen gibt, die nachgelötet werden müssen, füllt Soller den Glockenbauch mit Wasser. Und tatsächlich tropft es an wenigen Stellen. Bereits vorbereitet, aber noch nicht montiert, ist das hölzerne Joch, an dem die Glocke später hängen wird. So kann die Nachbildung dereinst wie das Original, das im Chorraum der Kathedrale St.Gallen zu finden ist, an einer Wand befestigt werden.

Bild auf der Glocke stammt aus der Barockzeit

Die Original-Gallusglocke gilt als würdiges Denkmal der klösterlich-benediktinischen Kultur. Sie stammt aus dem 7. Jahrhundert und wirkt von vorne betrachtet wie ein schmales Trapez. 33,5 Zentimeter hoch ist sie, auf der Vorderseite findet sich ein Gemälde des Heiligen Gallus mit dem holzschleppenden Bären. Dieses Bild ist allerdings erst viele Jahrhunderte später hinzugefügt worden und stammt aus der Barockzeit. Auf der Nachbildung fehlt es deshalb. Zu den weiteren Unterschieden gehört, dass die Original-Gallusglocke im Gegensatz zur Nachbildung sehr fragil wirkt, sie weist diverse Beschädigungen und Risse auf. Die Replik wurde zugunsten des Wohlklangs nicht beschädigt.

Genau dieses Original hätten die Verantwortlichen der Grossen Landesausstellung 2024 zur «Klosterinsel Reichenau. Welterbe des Mittelalters» gerne ausgeliehen. Zum einen, weil es auf einer sinnlichen Ebene an den Heiligen Gallus erinnert, dessen Vita zwei Mönche von der Reichenau für die Nachwelt festgehalten haben, zum anderen, weil Handglocken in monastischen Gemeinschaften eine wichtige Rolle spielten. Da es sich jedoch um eine aus ideeller Sicht sehr wertvolle Devotionalie handelt und sie auch noch bei Liturgien gebraucht wird, wird statt des Originals das auf Initiative der Stiftsbibliothek und des Dompfarrers hergestellte Replikat für die gewünschte Ausleihe nach Deutschland zur Verfügung stehen.

Vor Ort die Glocke vermessen

Bevor Schellenschmied René Soller mit der Nachbildung begann, ist er nach St.Gallen gereist und hat das Original vor Ort vermessen und studiert. Zudem lag dem 61-Jährigen Fachliteratur mit einem technischen Beschrieb des einzigartigen Objekts vor. «Zuerst habe ich dann ein Modell im Massstab 1:2 gemacht, um zu schauen, ob das Schnittmuster passt», sagt René Soller. Anschliessend hat er die neue Gallusglocke aus einem einzige Stück Stahlblech geformt. Die Herausforderung dabei sei gewesen, dass er nicht das ganze Blech auf einmal erhitzen konnte, sondern nur Stück für Stück. Entsprechend Zeit brauchte es, bis die Glocke die gewünschte Form hatte.

Mit Freude präsentiert Schellenschmied René Soller das Ergebnis den Besucherinnen und Besuchern aus St.Gallen. Für mich war es eine Ehre und eine grosse Herausforderung, diese besondere Glocke zu schmieden und mein Wissen und meine Fähigkeiten hinein zu geben. «Wer weiss, vielleicht erlangt die neue Glocke auch ein so stattliches Alter.»

 Text / Bilder / Video: Roger Fuchs

Die nachgebildete Gallusglocke bekommt ihren Klang

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