Stiftsbibliothek geht den teils verrückten Legenden der Heiligen nach

Montag, 25. November 2024

«Die Welt der Heiligen und Legenden ist eine Welt voll von Heldinnen und Helden mit zahlreichen Prüfungen und Wundern, voll von verrückten Geschichten in immer wieder neuen Abwandlungen.» Dies sagt Stiftsbibliothekar Cornel Dora mit Blick auf die neue Winterausstellung. Diese rückt Heilige und ihre Legenden in den Fokus. Die Stiftsbibliothek St.Gallen besitzt eine der wertvollsten Sammlungen von Legendentexten seit dem frühen Mittelalter. Die neue Ausstellung dauert vom 26. November 2024 bis 27. April 2025.

Ausstellung

Der Linoldruck von Elena Kaeser aus St.Gallen verbindet die Heiligenattribute der Gottesmutter Maria mit jenen des heiligen Ambrosius. Bild: Stiftsbibliothek St.Gallen

Für Gabriela Signori, Professorin für die Geschichte des Mittelalters in Konstanz, steht ausser Frage: Es gibt kaum einen geeigneteren Ort, um über mittelalterliche Heiligenlegenden in ihrer Vielfalt und Vielgestalt nachzudenken, als die Stiftsbibliothek St.Gallen. Dies schreibt sie in dem zur neuen Winterausstellung «Verrückte Geschichten – Heilige und ihre Legenden» erschienen Katalog. In der Stiftsbibliothek haben gemäss Signori Generationen von Mönchen zu unterschiedlichen Zeiten, aus unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zwecken eine beachtliche Zahl an Lebensbeschreibungen und Wundergeschichten in unterschiedlichster Form geschrieben, abgeschrieben und gebündelt.

Von der «Legende» zur «Lügende»

Ab dem 26. November geht die Stiftsbibliothek in der neuen Ausstellung den Heiligenlegenden nach. Im Mittelalter befanden sich die Heiligen nicht am Rand der Gesellschaft wie heute, sondern in ihrer Mitte. Sie und ihre Geschichten waren ein wesentlicher Teil der Alltagskultur und des theologischen Orientierungssystems. Ihre im Kirchenjahr etablierten Feste strukturierten den Jahresablauf, Eltern liessen ihre Kinder auf ihre Namen taufen, sie wurden in der Not angerufen und waren seit dem Spätmittelalter auch im öffentlichen Raum überall in Bildern und Statuen präsent. «Ihr Potenzial wurde im Spätmittelalter derart ausgebeutet, dass es problematisch wurde», sagt Stiftsbibliothekar Cornel Dora. Die Reformation wandte sich radikal dagegen, der Reformator Martin Luther erklärte die «Legende» zur «Lügende».

Die Legendensammlung der Stiftsbibliothek St.Gallen ist, wie es in der Mitteilung der Institution heisst, von aussergewöhnlicher Qualität und breiter Vielfalt, eine Fundgrube, um das Thema vorzustellen und gleichzeitig die Bedeutung des frühmittelalterlichen Steinachklosters ins Licht zu rücken. Sie setzt im 8. Jahrhundert ein und enthält mehrere früheste oder beste Überlieferungen. Und es gibt ganz Einzigartiges darunter. So hat einer der St.Galler Mönche um das Jahr 920 ein nach den Heiligenfesten im Kirchenjahr geordnetes Verzeichnis aller im Kloster greifbaren Legenden erstellt – ein einmaliges und aufschlussreiches Zeugnis.

Von den Märtyrern zu Antonius

«In der Ausstellung zeigen wir auf, wie sich die Heiligenlegende aus den teils erschütternden Martyriumsberichten der Christinnen und Christen seit dem 2. Jahrhundert entwickelte», sagt Cornel Dora. Im 4. Jahrhundert kamen auch Lebensgeschichten von sogenannten Bekennerinnen und Bekennern hinzu, die keinen gewaltsamen Tod erlitten. Der erste von ihnen war der ägyptische Mönch Antonius. Seine Vita, wie man die Lebensgeschichten von Heiligen auch nennt, wurde vom Kirchenvater Athanasius verfasst. Sie wirkte modellhaft auf die Entstehung von weiteren Heiligenlegenden.

Über die Jahrhunderte wuchs die Heiligenliteratur unbändig und in grosser Vielfalt an. Die Legenden begleiteten die Menschen entlang der Heiligenfeste durchs Kirchenjahr.

Die Winterausstellung in der Stiftsbibliothek zeigt die Vielfalt der Legenden und ist nach den Themenkreisen Jugend, Umkehrerlebnisse, Jungfräulichkeit und Körper, Wundertätigkeit, Visionen und Todesschilderungen gruppiert. Die Ausstellung wurde in einem kleinen Team von Eva Dietrich, Cornel Dora und Ruth Wiederkehr erarbeitet. Zur Bereicherung der Ausstellung hat die Grafikerin Elena Kaeser Linolschnitte mit den Attributen der vorgestellten Heiligen angefertigt, die auch im bebilderten Katalog wiedergegeben sind.


Öffnungszeiten

Die Ausstellung «Verrückte Geschichten – Heilige und ihre Legenden» ist vom 26. November 2024 bis 27. April 2025 geöffnet, täglich 10 bis 17 Uhr (24./25. Dezember geschlossen)
Die Ausstellungseröffnung geht am 26. November, 18.15 Uhr, im Pfalzkeller St.Gallen über die Bühne. Mehr zur Eröffnung.
Parallel zur Ausstellung gibt es ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm.

Weitere News.