Das SPI präsentiert die neue Kirchenstatistik: «Die Zahlen sprechen laut»
Donnerstag, 14. November 2024Im vergangenen Jahr sind doppelt so viele Menschen aus der katholischen Kirche Schweiz ausgetreten wie im Vorjahr. Dies legt das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut SPI mit Sitz in St.Gallen mit der aktuellen Kirchenstatistik der Schweiz offen. Es gibt dabei auch Widersprüchliches zu beobachten. Demnach ist die Zahl der freiwillig Engagierten konstant. Beim SPI hat man eine Erklärung dafür. Urs Brosi, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz RKZ, spricht von einem Prozess des «Kleiner Werdens».
Arnd Bünker, Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts in St.Gallen. Bild: Roger Fuchs
67’497 Menschen haben schweizweit im Jahr 2023 die katholische Kirche verlassen, im Kanton St.Gallen waren es 7356, in Appenzell Ausserrhoden 499, in Appenzell Innerrhoden 223. Dies entspricht einer Verdoppelung der Zahlen von 2022. Bei den Eintrittszahlen ist keine besondere Dynamik feststellbar, Eintritte in eine Religionsgemeinschaft kommen nur sehr selten vor.
Wie es am Donnerstag, 14. November, an einer Medienkonferenz des SPI hiess, ist der Anlass für diesen Anstieg vor allem in der Publikation der Ergebnisse der Pilotstudie zum sexuellen Missbrauch im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz zu sehen.
Gemäss Arnd Bünker, dem Leiter des SPI, war diese Entwicklung aus kirchensoziologischer Sicht erwartbar gewesen. «Solche Austrittswellen sind auch aus anderen Ländern und bei ähnlichen Situationen zu beobachten.» Für das laufende Jahr 2024 erwartet Arnd Bünker, dass sich die Welle abschwächen wird, allerdings würden die Austrittszahlen wohl auf einem höheren Niveau landen als noch vor der Welle.
Alles in allem umfasste die katholische Kirche in der Schweiz im vergangenen Jahr 2’795’067 Mitglieder, das sind gut 93’000 weniger als im Jahr 2022. Dass der Rückgang der Mitgliederzahl höher ist als die blosse Zahl der Austritte hängt gemäss Arnd Bünker mit dem Trend der Entfremdung von der Kirche zusammen. «Menschen bleiben zwar noch Mitglieder, aber sie nehmen am Leben der Kirche immer weniger Teil und sie geben die Zugehörigkeit zur Kirche in ihrer Familie immer weniger weiter.»
Zahl der freiwillig Engagierten konstant
Rückläufig sind ebenso die Taufen und kirchlichen Trauungen. Gleichzeitig ist mit Blick auf das Bistum St.Gallen gemäss Arnd Bünker auch ein Widerspruch zu erkennen. Bei den freiwillig Engagierten habe kein Rückgang festgestellt werden können. Bünker zeigt sich überzeugt, dass der im Bistum St.Gallen beobachtete Trend sich für die ganze Schweiz generalisieren lässt. Und er hat auch eine Erklärung dafür: «Der Widerspruch liegt in der Gewichtung des Entsetzens über den Missbrauchskomplex im Verhältnis zu anderen, selbst erlebten, Kirchenerfahrungen von Freiwilligen, die als positiv und persönlich wertvoll wahrgenommen werden.
Urs Brosi, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz RKZ, der ebenfalls zur Medienkonferenz zugeschaltet war, sprach angesichts der hohen Austrittszahlen und der Kritik im Zuge der Missbrauchsstudie von einer grossen Belastung. Die Bischöfe und die Behörden der Landeskirchen würden nun gemeinsam den eingeschlagenen Weg zur Aufarbeitung weitergehen. «Es gibt kein Zurück», so Brosi, der auch sagte, dass sich die katholische Kirche in einem Prozess des «Kleiner Werdens» befinde.
Aufarbeitung ist richtig und wichtig
«Die Zahlen der Kirchenstatistik sprechen laut», hielt der St.Galler Bischof Markus Büchel fest. Die gesamte Forschungsarbeit sei aber richtig und wichtig. Sie bringe ans Licht, was jahrzehntelang verdeckt worden sei. «Die Forschungsarbeit ist ein notwendiger Beitrag, um den Betroffenen sexuellen Machtmissbrauchs Anerkennung ihrer Erfahrungen zu verschaffen», so Büchel. Zugleich würden dadurch die notwendigen Veränderungen in der Kirche vorangetrieben.
Er sieht in der Statistik auch einen langfristigen Trend bestätigt: Säkularisierung und religiös-spirituelle Individualisierung würden bei vielen Menschen zu einer Erosion ihrer religiösen Überzeugungen und ihrer Kirchenbindung führen. Mit Blick auf die Freiwilligen betonte Markus Büchel die Wichtigkeit, ihnen Sorge zu tragen.
Vom SPI gesammelte Daten
Sämtliche vom SPI veröffentlichten Daten stammen aus den Bistümern und kantonalkirchlichen Organisationen der römisch-katholischen Kirche sowie aus den Erhebungen der reformierten Landeskirchen, die bei der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz zusammengetragen worden sind.
Hier der Link zur Kirchenstatistik des SPI.
Text und Bild: Roger Fuchs